Hexe
Eine Hexe ist im Volksglauben eine mit Zauberkräften ausgestattete, meist weibliche, heil- oder unheilbringende Person, die im Rahmen der Christianisierung häufig mit Dämonen oder dem Teufel im Bunde geglaubt wurde.
Zur Zeit der Hexenverfolgung wurde der Begriff Hexe vereinzelt als Fremdbezeichnung auf Frauen und Männer angewandt, die unter dem Vorwurf der Zauberei verfolgt wurden. Später setzte er sich, insbesondere in der wissenschaftlichen Untersuchung des Phänomens „Hexenverfolgung“, allgemein durch.
Zur Anwendung des Begriffs auf Männer als „Hexer“ oder „Hexenmeister“
Hexe
Albrecht Dürer 1491: Die vier Hexen
Die Wurzeln des deutschen Wortes Hexe finden sich nur im westgermanischen Sprachraum: mittelhochdeutsch hecse, hesse, althochdeutsch hagzissa, hagazussa, mittelniederländisch haghetisse, altenglisch haegtesse: („gespenstisches Wesen“) – im modernen Englisch verkürzt zu hag. Die genaue Wortbedeutung ist ungeklärt; der erste Bestandteil von hagazussa ist wahrscheinlich althochdeutsch hag („Zaun, Hecke, Gehege“), der zweite ist möglicherweise mit germanisch/norwegisch tysja („Elfe, böser/guter Geist“) und litauisch dvasia „Geist, Seele“ verwandt, also vermutlich ein auf Hecken oder Grenzen befindlicher Geist. Eine andere Herleitung versteht zussa als „sitzen“, so dass eine hagazusssa eine auf oder in der Hecke sitzende Person bezeichnen könnte.
Aus dieser Sicht steht kein Zweifel an der Zugehörigkeit des Begriffs zur Religion. Allerdings ist nicht nachgewiesen, dass der Begriff Hexe (bzw. dessen Vorgänger) vor der Christianisierung eine Bezeichnung für kultisch tätige Personen war. Es sind auch Menschen mit besonderem Wissen (siehe: Esoterik), niedere mythische Wesen oder Göttinnen vor- bzw. nichtchristlicher Religionen in Betracht zu ziehen.
Wenn die Begriffsintention sich auf die auf verschiedenen Seiten hängenden Beine bezieht, ließe sich der Begriff metaphorisch als Beschreibung einer Wesenheit begreifen, die mit einem Bein im Reich der Lebenden, mit dem anderen im Reich der Toten weilt. Es gibt auch die Varianten, dass der profane und der heilige Bereich hier einander gegenüber stehen und somit die Grenze bilden, oder das Diesseits und das Jenseits.
Bleibtreu-Ehrenberg 1978 dagegen sieht, hier u. a. auf Mircea Eliade, Erik Noreen, Lily Weiser-Aall, Joseph Hansen (Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozeß im Mittelalter, München und Leipzig 1900), Hans von Hentig und Jan de Vries fußend, im althochdeutschen hag nicht die umzäunte Hecke, sondern die einzelne Zaunlatte, auf der das Hexenwesen reite und die sich in der volkstümlichen Vorstellung später zum typischen Besen entwickelt habe. Des Weiteren sieht sie in den später als Hexerei bezeichneten Kultpraktiken eine bronzezeitliche, maternale Naturreligion, die sich aus dem steinzeitlichen Schamanismus entwickelt habe, und erkennt im hag ein weltweit verbreitetes anthropologisches Charakteristikum des Schamanismus, nämlich den tranceerzeugende Musik hervorbringenden Trommelschlegel, über den es in den meisten Sprachen schamanistischer Kulturen wörtlich heiße, dass der Schamane auf diesem Schlegel in die Geisterwelt reite. Aus diesem steinzeitlichen Ritt auf dem Trommelschlegel habe sich über Vermittlung der bronzezeitlichen maternalen Religion, die wiederum von ab Beginn der Eisenzeit nach Europa einwandernden patriarchalen indogermanischen Stämmen stark negativ umgedeutet und bekämpft worden sei, die Vorstellung eines auf einer Zaunlatte reitenden, zumeist weiblichen oder weibischen Zauberwesens entwickelt.
Nach der Autorin Inge Resch-Rauter hat die Bezeichnung „Hexe“ allerdings eine andere Bedeutung:
„Das Grundwort war AGDISTIS. Dies war die Bezeichnung der ‚Großen Göttin‘ der Phrygier, die lange vor Kybele als Schöpfergottheit bestand. Ihr Name bedeutet ‚Heilige Göttin‘ und nennt somit die große Mutter. Der Kult der Agdistis, der Vorgängerin der Kybele, und ihres geliebten Attis kam ungefähr 200 v.Chr. aus Phrygien nach Rom. Die Kulthandlungen zu ihren Ehren wurden in einem großen Frühlingsfest, das sich über zwei Wochen erstreckte, gefeiert. Über HAGEDISE, das die alte Bezeichnung Agdistis noch im richtigen, unveränderten Wortsinn enthält, fälschlich und sinnleer aber immer aus dem Deutschen als ‚Hecken-Reiterin‘ übersetzt wird, spaltete es sich zu HAGIA und DISE, womit die vorchristliche Priesterin bezeichnet worden ist. Sie war die Heilige (HAGIA), die Göttliche (DISE). So benannte man die weise, wissende, die kräuterkundige Frau, die pharmazeutisch geschulte Priesterin und Hüterin des Tempels. Und als solche wurde sie mit beiden Worten auch benannt“
– Inge Resch-Rauter
Witch
Walter W. Skeats etymologisches Wörterbuch leitet das englische witch (Hexe) ab aus altenglisch wicche, angelsächsisch wicca (mask.) oder wicce (fem.): einer verderbten Form von witga der Kurzform von witega („Seher, Wahrsager“), das seinerseits von angelsächsisch witan („sehen, wissen“) herrührt; ein entfernter indogermanischer Verwandter auch die indischen Veden. Entsprechend entwickelt isländisch vitki (Hexe) aus vita („wissen“) oder vizkr („Kluger, Wissender“). Wizard („Zauberer“) stammt von normannisch-französisch wischard, altfranzösisch guiscart („der Scharfsinnige“). Die englischen Wörter wit („Verstandeswitz, Geist“) und wisdom („Weisheit“) stammen aus der gleichen Wurzel.
Herkunft des Hexenglaubens
Der Hexenglaube ist ein paneuropäischer Aberglaube (Volksglaube), dessen Wurzeln im vorchristlichen Götterglauben liegen. Diese weitgehende Übereinstimmung fällt nicht ins Auge, weil die Bezeichnungen regional unterschiedlich sind. So ist im postkeltischen Kulturkreis von Feen (Morgane etc.) die Rede, die gut und böse sein konnten, in Irland zweigesichtig dargestellt wurden. Im postgermanischen Raum steht der Begriff Elfe primär für ein gutes Wesen, während es ansonsten eher (wohl als Folge christlicher Indoktrination) die böse Hexe gibt. Die Bezeichnungen Fee und Elfe wurden nicht auf Menschen angewendet und somit auch nicht Gegenstand der Hexenverfolgung. Sie behielten ihren Charakter als mythische Wesen.
Das märchenhafte Stereotyp der Hexe, nämlich einer alten Frau, die auf einem Besen reitet – hinzu kommt oft die Begleitung durch einen schwarzen Vogel (wahrscheinliche einer der beiden Raben Odins) oder eine Katze – leitet sich von der Vorstellung eines Wesens ab, das sich in Hecken oder eher in Hainen aufhält oder auf Grenzen reitet. Vermutlich ist das Stereotyp als solches relativ neu und Illustrationen in deutschen Märchenbüchern geschuldet, denn genaue Entsprechungen (außer der Fähigkeit zu fliegen) fehlen vielerorts in benachbarten Ländern. Aus der Zaunstange, meist gegabelte Äste, wurde in der bildlichen Darstellung der Hexenbesen. Diese Version unterlag jedoch bereits christlicher Einflussnahme. Für das Bild von der Zaunreiterin gibt es verschiedene Erklärungen: Es könnte sich einmal um eine Art archaischer (Wald)-Priesterinnen gehandelt haben, andererseits wird auch ein abstraktes Bild bemüht: Wesen, die auf Zäunen sitzen, befinden sich auf einer Grenze von kultiviertem Raum zur unkultivierten Natur.
Wenn die Hecke vielleicht mit dem Bannkreis, der vorchristliche Kultorte umgab und eine Trennlinie zwischen der diesseitigen Welt und der jenseitigen Welt darstellt, identifiziert werden kann, so ist die Hexe eine Person, die zwischen beiden Welten vermitteln kann - somit divinatorische, aber auch heilende Fähigkeiten und hohes Wissen besitzt, und damit die Eigenschaften der vorchristlichen Kultträger.
Von je her sind die Bedeutungen Orakelsprechende, Zaubersprechende, (Hell-)Seherin und weitere in der Bezeichnung Hexe eingeschlossen – alles Attribute, die auch der nordischen Freya, der irischen Brigid und anderen archaischen Göttinnen zugeordnet wurden.
Eine mögliche Herkunft des Archetypus „Hexe“ ist, wenn die Etymologie des englischen witch stimmt, eine Frau mit okkultem oder Naturheilwissen, die unter Umständen einer Priesterschaft angehörte. Dies ist eine Übertragung der Fähigkeiten (Heilen, Zaubern, Wahrsagen) der Göttin Freya und vergleichbarer Göttinnen in anderen Regionen auf ihre Priesterinnen, die im frühchristlichen Umfeld noch lange in der gewohnten Weise agierten. Mit dem Vordringen des Christentums wurden die heidnischen Lehren und ihre Anhänger dämonisiert.
Der Begriff des Hexenglaubens ist im Übrigen doppeldeutig. Er bezeichnet nicht nur die Überzeugung von der realen und bedrohlichen Existenz der Hexen, wie er im Volksglauben verwurzelt war und sich als Reaktion der Obrigkeit zum Hexenwahn steigern konnte. Daneben kann er heute die (naturreligiösen) Überzeugungen beschreiben, die sich auf ein vorchristliches Verständnis berufen und bestimmte Menschen beiderlei Geschlechts, die angeblich über besondere Fähigkeiten und Kenntnisse (siehe: Esoterik) verfügen, als Hexen bezeichnen.